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Januar 2017

Maurizio Pollini zum 75. Geburtstag

Am 5. Januar wird seit vielen Jahren ein pianistischer Drei-Kaiser-Tag gefeiert, wurden an ihm außer Maurizio Pollini doch auch Arturo Benedetti Michelangeli und Alfred Brendel geboren. Das heutige Kultur- und Musikleben ist spürbar von großer Verehrung für die noch lebenden und konzertierenden großen Künstler der vergangenen Jahrzehnte erfüllt, aber das trifft in noch einmal gesteigerter Weise für Maurizio Pollini zu, der heute seinen 75. Geburtstag begeht. Maurizio Pollini
Maurizio Pollini
Foto: Salzburger Festspiel Archiv, Foto Schaffler
Erstmals weltweit bekannt geworden mit achtzehn Jahre als 1. Preisträger des Chopin-Wettbewerbs in Warschau 1960, haftet ihm in der Wahrnehmung des Publikums seitdem etwas von der Aura des jungen, neuen Interpretentyps an. Er erscheint seitdem als Inbegriff einer Verbindung von größter, makelloser Virtuosität, bei aller spürbaren Energie gleichfalls fast „sachlicher“, klassizistischer Strenge der Interpretation und einer konservativen Bevorzugung klassischer Meisterwerke in der Repertoirewahl – die allerdings ergänzt und quasi intellektuell beglaubigt wirkte durch eine offensichtlich große Liebe nicht nur für Klassiker der Moderne, sondern auch zeitgenössische avantgardistische Musik.
Orfeo schätzt sich glücklich, dem bekannten umfangreichen Katalog von Pollini-Studio-Aufnahmen in den letzten Jahren zwei Veröffentlichungen von Konzertmitschnitten hinzugefügt zu haben, die das Bild des Künstlers durchaus erweitern. Es handelt sich dabei um zwei Konzerte des „mittleren“ Pollini: war es immer typisch für das musikalische Profil des strengen Perfektionisten, nur mit entweder von ihm vollständig zu kontrollierenden Solo-Repertoire aufzutreten, oder höchstens mit einigen der weltbesten Orchester unter den namhaftesten großen alten, „klassischen“ Dirigenten (oder seinem Bruder im Geiste, Abbado), blieb eine einzige Studio-Kammermusikaufnahme aus den späten siebziger Jahren die die Regel bestätigende Ausnahme. Umso überraschender, daß es in derselben Zeit, 1978, zu einem einzigen gemeinsamen Auftritt des eminenten Solisten mit dem großen Liedsänger der zweiten Jahrhunderthälfte kam, Dietrich Fischer-Dieskau, mit dem herausfordernden Lied-Zyklus schlechthin, der Winterreise (passend zu der für Pollini typischen Beschäftigung mit nur einigen wenigen, vor allem späten Solowerken von Schubert). Dürfte für die meisten Klassik-Kenner die Tatsache dieses musikalischen Gipfeltreffens unbekannt sein, ist die Existenz des Mitschnitts und seine Veröffentlichung 2013 umso erfreulicher. Selten dürfte der Klavierpart über die absolut nötige und inzwischen zumindest theoretisch unstrittige Emanzipation des vermeintlichen „Begleiters“ hinaus derart als selbstbewußtes vollstimmiges Solo erklungen sein, so daß einmal – bei allem Respekt – sogar eher dem großen Liedsänger flexible Begleiterqualitäten abverlangt waren. – Nach diesem Abend ist es von Seiten des Instrumentalisten nie mehr zu einer solchen Zusammenarbeit gekommen, so daß der Mitschnitt wirklich in jedem Sinn als singulär betrachtet werden kann. –
Auch der andere Konzertmitschnitt von 1980 hat eine interpretatorisch durchaus historische Dimension, handelt es sich doch um das letzte Konzert des alten Karl Böhm bei den Salzburger Festspielen mit seinem Lieblingsorchester und Lieblingskomponisten, den Wiener Philharmonikern in einem reinen Mozart-Programm. Hier kann man noch einmal einen Mozart vor der großen Umwälzung des Mozarts-Bildes und der Mozart-Aufführungspraxis erleben, die sich in diesen Jahren anbahnte. Und es ist eins von den sprechenden Details von Pollinis Diskographie, daß von diesem Komponisten keine Solo-Aufnahme und keine mit seinem Gefährten Abbado existiert (oder gar Protagonisten des neuen Mozart-Stils), sondern offiziell neben seiner Studioaufnahme zweier späterer Konzerte mit demselben Dirigenten nur diese. – Spätere Mozart-Konzertaufnahmen, nach Karl Böhms Tod 1981, dirigierte der Pianist selbst.

C 884 131 B

C 884 131 B

Franz Schubert: Winterreise

Dietrich Fischer-Dieskau, Maurizio Pollini

C 891 141 B

C 891 141 B

Wolfgang Amadeus Mozart: Symphonie KV 201 und 385 "Haffner" Klavierkonzert KV 459

Maurizio Pollini, Wiener Philharmoniker, Karl Böhm

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