Grace Bumbry
Foto: Christian SteinerDass sie sich weitere zehn Jahre später mit riskanten Partien wie Tosca oder Norma nicht verschlissen hatte, sondern aus dem Vollen schöpfen konnte, belegt das Recital, das sie bei ORFEO mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart unter Stefan Soltesz aufgenommen hat. In diesem Programm sind neben Paradestücken aus Rollen, in denen sie auf der Bühne stand, auch Arien enthalten, deren sängerisch wie gestalterisch packende Gestaltung unabhängig vom dramatischen Zusammenhang seit jeher ein Privileg echter Primadonnen ist. Das gilt beispielsweise für „Depuis le jour“ aus Gustave Charpentiers Louise oder „Ebben? Ne andrò lontana“ aus La Wally von Alfredo Catalani, in denen die Sängerin neben einem makel- und bruchlosen Legato aus dem Pianissimo heraus über die Fähigkeit zur großen dynamischen Steigerung gebieten muss. Vollends in den Bann zieht sie mit ihrem Vortrag, wenn, wie etwa in der berühmten „Pace“-Arie aus Verdis La forza del destino oder dem „Suicidio!“ aus Ponchiellis La Gioconda, der Impetus des im Italienischen als squillo bezeichneten, durchdringenden Höhenstrahls als wesentliche Qualität hinzukommt. Wie sie ihre satte Mittellage trotz des verstärkten Einsatzes als Sopran bewahren konnte, zeigt sich in „Divinités du Styx“ aus Glucks Alceste, die (beinahe wie bei einer Kirsten Flagstad) hochdramatische Züge annimmt. Dass Grace Bumbry außerdem auszugsweise in den selten zu hörenden Opern Le Cid von Massenet und Sapho von Gounod zu glänzen verstand, belegt die unmittelbare Faszination, die immer vom Vortrag dieser Diva ausging. Hoch soll sie leben!