„Glück ist anders“ – wertvolle neue Festspielraritäten
In einer immer mehr beschleunigenden und auf Kurzfristiges abgestellten Welt kann die klassischen Musik-Szene gar nicht anders als sich noch mehr ihrer Sonderstellung bewusst werden – als großer Vorzug, mit dem achtsam umzugehen ist. Und Inbegriff, Kristallisationspunkt solcher Bewusstwerdung können Festspiele sein, in denen hörenswerte Werke durch möglichst hohe Qualität ihrer Aufführung gefeiert werden, und das in programmatischer Bündelung.
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C 927 161 BBesonderen Wert gewinnen solche Festspiele, wenn sie ihre eigene, Jahr für Jahr nicht selbstverständliche Existenz zu einer dauerhaften, Vorbild gebenden Instanz formen können. Gegründet wurden die Salzburger Festspiele u.a. von Richard Strauss in auch für die Kultur ganz schwieriger Zeit, nach der Katastrophe und dem Untergang einer alten Welt, dem 1. Weltkrieg. Aus dem dabei seit 1925 für Rundfunkübertragungen entstandenen Fundus von Aufnahmen freut sich ORFEO heuer wieder Ausgewähltes anbieten zu können.
So wie der Mitbegründer Strauss ein zeitgenössischer Komponist war, von dem noch über zwei Jahrzehnte später Neues zu erwarten war, gehört die Aufführung zeitgenössischen Kunstschaffens zentral zum Selbstverständnis der Festspiele, auch als Verpflichtung und Gegengewicht angesichts ausgiebiger Klassiker-Pflege. Gerade in einer Zeit, in der die x-te Neuaufnahme klassischer Werke nicht immer zwingend nötig erscheint, gewinnen die programmatischen Verdienste der Festspiele um die auch schon mehr als ein Jahrhundert alte „Neue Musik“ erhöhten Stellenwert. So erscheint nun in diesem Jahr mit Kreneks Orpheus und Eurydike ein Werk, das vieles zugleich ist: natürlich „klassische“ Themenanknüpfung im Sinne einer weiteren Umarbeitung – in diesem Fall des Gründungs-Mythos der Oper schlechthin, nicht nur seit Monteverdi (1607), sondern seit dem „Urknall“ der Opernentstehung von Caccini/Peri (1600); zeitlos einer der Menschheitsmythen überhaupt von Liebe, Leiden an der Vergänglichkeit und deren Bewältigung in der Kunst; ein hochaktuell-zeitgebundenes Kunstwerk aus der Entstehungszeit der Festspiele; und nicht zuletzt ein gebührender Festakt zum 90. Geburtstag eines bedeutenden Komponisten des 20. Jahrhunderts: bei der hier dokumentierten Festaufführung 1990 war Krenek anwesend. Kokoschkas aufgewühlt-expressionistische Textvorlage entstand 1915/17 in der Aufarbeitung einer heftigen Liebesbeziehung zu Alma Mahler, und die Komposition des höchst selbständigen Schönberg-Schülers in eigenwilligem Misch-Stil bis 1923. Wegen des literarischen Niveaus des Dichters (und des Komponisten) druckt ORFEO das Libretto zusätzlich ab (daraus auch die Überschrift unseres Texts), und weil die Aufnahme die erste und einzige überhaupt auf dem Markt ist.
Einer der einflussreichsten Musiker unseres Zeitalters ist zweifellos Nikolaus Harnoncourt gewesen, dessen Bedeutung in wenigen Worten gar nicht zu umreißen ist, und dessen Tod Anfang des Jahres und wie sehr er in Zukunft fehlen wird, sicherlich noch gar nicht ganz ermessen werden kann. Gerade wer Harnoncourt genauer gekannt und geschätzt hat, weiß, wie sehr ihn der Furor des Anders- und Neu-Machens getrieben hat, und die hier dokumentierte „Zwischenstufe“ der seltenen Zusammenarbeit mit den Wiener Philharmonikern bei Beethoven ist daher von allerhöchstem Interesse.
Das Musikleben unserer Zeit ist erfreulicherweise von einer regelrechten Hochkonjunktur junger neuer Streichquartette geprägt. Da ist es aufschlussreich, ein von jeher als Vorreiter höchster moderner Standards geltendes älteres Quartett nicht nur mit Studioaufnahmen hören zu können, sondern nun auch in seiner besten Zeit in der „Nagelprobe“ der Konzertes (1965). Und das gemäß dem Motto des Juilliard String Quartets, neue Musik klassisch und alte wie neu erscheinen zu lassen, nicht nur mit Dvořák und Mozart, sondern auch Bartók.
Schließlich gilt eine weitere Veröffentlichung dem Bereich der Vokalmusik, und zwar dem Liedgesang. Diese Gattung von Konzerten scheint im heutigen Musikleben nicht mehr ganz so selbstverständlich zu sein wie noch vor einiger Zeit, hatte bei den Salzburger Festspielen aber immer einen herausgehobenen Stellenwert, und hing in ihrer Existenz sicherlich auch früher besonders an herausragenden Leitfiguren. Sehen wir auf die allerletzten Jahrzehnte zurück, hat es, wie zuvor nur Dietrich Fischer-Dieskau, in den achtziger und neunziger Jahren überhaupt niemand gegeben, der in einem Liederabend sein Publikum derart in Bann schlagen konnte mit einer Darstellungskunst und einer Fülle stimmlicher Mittel sondergleichen wie eben Jessye Norman. Wer sich glücklich schätzen kann, sie in diesen Jahren in ihrem eigentlichen Metier erlebt zu haben, wird sich genauso wie der nachvollziehende Neuling freuen, nun ein weiteres Programm der Diva mit dem kongenialen Begleiter James Levine (nach)erleben zu dürfen, souverän und makellos vielsprachig mit Richard Strauss, Tschaikowsky, Wagners Wesendonck-Liedern und – mit hohem „Repertoire-Wert“ - der Rarität von Schönbergs (mehr Wienerischen als modernen) Brettl-Liedern.