ORFEO International – Pressetexte

Wichtige Veröffentlichungen kurz vorgestellt

November 2016

ORFEO 2 CD C 905 162 A

Konstantin Lifschitz – Daphnis et Chloé

Wie bei früheren CD-Produktionen geht es C 905 162 A
C 905 162 A
Konstantin Lifschitz bei diesem Programm nicht nur um anregende Ideenverbindung zwischen Werken, sondern auch um deren klangliche Versionen. Mit dem Titel „Saisons russes“ sind die bahnbrechenden musikalischen und ästhetischen Umwälzungen gemeint, die mit dem Namen des berühmten Impresario Diaghilew und den legendären Auftritten der „Ballets Russes“ seit 1910 in Paris verbunden werden. Waren hier auch viele andere zeitgenössische Komponisten involviert, so stehen von ihrer Bedeutung und dem Anteil an der Wirkungsgeschichte Debussy, Ravel und vor allem Strawinsky sicherlich an vorderster Stelle. Ihre hier gemeinsam dargebotenen Werke verbindet mit neu gefundenen Ausdrucksmitteln der Rückbezug auf archaisch-antike Stoffe.

Debussys „Six Epigraphes antiques“ fußen als Auswahl auf zwölf kurzen, um 1900 als Schauspielmusik für zwei Flöten, zwei Harfen und Celesta komponierten Stücken zu den nach altgriechischen Gedichten komponierten „Chansons de Bilitis“. Sechs von jenen übertrug er 1914, in der Besetzung naheliegend, für Klavier zu vier Händen. Diese Fassung arbeitete er 1915 noch einmal, fast ohne Substanzverlust, spieltechnisch dafür entsprechend anspruchsvoller, für Klavier zweihändig um. – Mit den im selben Jahr fertiggestellten beiden Büchern von je sechs Etüden sind dies somit Debussys letzte Klavierwerke. Der an Debussy anknüpfende wie diesen – als Jüngerer – anregende Maurice Ravel schuf für die „Saisons russes” 1912 sein nach Länge und Besetzung umfangreichstes Orchesterwerk: die etwa einstündige „Symphonie choréographique” „Daphnis et Chloé” nach dem erotischen Hirtenroman des griechischen Dichters Longus aus dem 3. Jahrhundert nach Christus. Strawinsky lobte sie als eines der schönsten Produkte in der gesamten französischen Musik.

Konstantin Lifschitz spielt hier eine enorm anspruchsvolle eigene Soloklavier-Version einiger Stücke daraus in eigener Zusammenstellung. Die Klangkaskaden, orgiastisch gesteigerten Tänze und berauschenden Klanggemälde (insbesondere eines Sonnen-aufgangs) bedürfen hier der Entfesselung der extremen Virtuosität, wie sie Ravel in Gaspard de la Nuit entwickelt hatte. Auch so auf die Spitze getrieben bleibt am für seine spezifische Orchestrationskunst berühmten Impressionismus einmal mehr erstaunlich, wie gut auch die Klavierfassungen klingen können.

Strawinsky wurde bei den „Ballets Russes“, nach großen Erfolgen mit Petruschka (1910) und Feuervogel (1911), durch den Paukenschlag der skandalösen Urauffüh-rung des Frühlingsopfers 1913 regelrecht auf den Zenit seiner Bekanntheit katapul-tiert. Hier ist er nun, mit einem stilistisch ganz anderen Werk von 1928 vertreten, allerdings immer noch mit Rückbezug zu Diaghilew. Neben dem abermaligen inhaltlichen Bezug zur Antike – Apollo unterweist drei Musen in ihren Künsten und führt sie auf den Parnass – geht es in dieser Ballettmusik wieder besonders um die Instrumentation – rein für Streichorchester. Dabei kam es dem Komponisten auf eine Rehabilitation der Melodie an, die im Lauf des 19. Jahrhunderts immer mehr missbraucht und ihrer eigentlichen Möglichkeiten beraubt worden sei – und diese wahre Melodik sei durch-aus kompatibel mit ihrem mehrstimmigen, polyphonen Gebrauch. – Dies ist wiederum sinnfällig nachzuvollziehen in Strawinskys hier erstmals eingespielter eigener Klaviertranskription – völlig anders als bei der berüchtigten, von Artur Rubinstein bearbeiteten Petruschka-Suite. – Diaghilew äußerte sich über das in Washington uraufgeführte Stück noch ein Jahr vor seinem Tod uneingeschränkt begeistert.

Als eine Anknüpfung an die „typischen“ Anfängen der „Ballets Russes“ mit Petruschka kann man die für Konstantin Lifschitz geschriebene Komposition Carousel des in Moskau geborenen, über München nach Boston ausgewanderten Jakov Jakoulov empfinden, die virtuosen Aplomb und Spieltrieb mit jähen Stimmungswechseln in verschiedenste Ausdruckswelten verbindet. Das Karussell als Sinnbild für das menschliche Leben: Diese Analogie mag zwar etwas banal erscheinen, aber sie bleibt trotzdem wahr meint der Komponist. Wir alle drehen uns um die Achse unseres Schicksals – so lange, bis die Antriebsfeder bricht und das Karussell stoppt. - Nun ja, wir sind eben Russen, nicht wahr?

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