ORFEO International – Pressetexte

Wichtige Veröffentlichungen kurz vorgestellt

September 2013

Salzburger Festspieldokumente 2013

Anforderungen des Festspielbetriebs muten mitunter paradox an: Herausragende Künstler werden gerne immer wieder verpflichtet; zugleich soll aber die Einzigartigkeit ihrer Leistungen durch die Wiederholung entwertet werden. Zu den Persönlichkeiten, die jahrelang das Profil der Salzburger Festspiele prägten, gehörte zweifellos Wilhelm Furtwängler. C 880 132 I
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Doch dass er im Sommer 1951, zum 50. Todestag von Giuseppe Verdi, den Otello dieses Komponisten dirigierte, war eben ein solcher Coup, wie er Festspielen einen besonderen Reiz verleiht. Furtwängler gelang es am Pult der Wiener Philharmoniker, die erste Überraschung bei der Premiere in Begeisterung umschlagen zu lassen. Die durchaus symphonische Anlage dieser späten Opernpartitur Verdis setzte Furtwängler brillant gleichsam als „Seelendrama“ des Protagonisten um, den Ramón Vinay auf dem Zenit seiner stimmlichen Möglichkeiten mit unermüdlichem und an unterschiedlichen Schattierungen reichen Heldentenor sang. Als intriganter Jago stand ihm der ungemein differenzierungsfähige Bariton von Paul Schöffler nicht nach, ebenso wenig wie die am Beginn ihrer internationalen Karriere stehende Dragica Martinis als vollkommen in ihrer Rolle aufgehende Desdemona mit anmutigstem Sopran-Gesang. Bis in die weniger umfangreichen Rollen sorgfältig besetzt (z.B. mit Anton Dermota als Cassio und Josef Greindl als Lodovico) und mit dem bestens einstudierten Chor der Wiener Staatsoper gelang eine Otello-Aufführung, die bis heute als exemplarisch gilt und nun klanglich bestmöglich restauriert auf CD vorliegt.

István Kertész ist durch seinen frühen Tod, 1973 im Alter von nur 44 Jahren C 881 132 B
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bei einem Badeunfall, allzu selten in Salzburg aufgetreten. Im vorangegangen Jahrzehnt hatte er sich, mit einem großen Repertoire von der Wiener Klassik bis zur Moderne, schnell als ein erstklassiger Dirigent der jüngeren Generation etabliert. In Salzburg bestätigte er diesen Ruf 1962 eindrucksvoll am Pult der Berliner Philharmoniker – mit einem Programm, das von Ludwig van Beethovens 8. Symphonie über Richard Strauss’ Vier letzte Lieder zu Béla Bartóks Konzert für Orchester reichte und die stilistische Flexibilität von Kertész verdeutlichte – durchgehend energiegeladen und luzide musiziert. Zusätzlich „geadelt“ wurde dieses Konzert (und sein Mitschnitt) durch Elisabeth Schwarzkopf als eine Strauss-Sängerin, die bis heute ihresgleichen sucht.

Nicht nur durch „Unberechenbarkeit“ im Sinne der Programmgestaltung zeichnete sich der Pianist Shura Cherkassky aus, der bei den Salzburger Festspielen einige Male zu Gast war. C 882 132 B
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Unter Umständen hat er sich gerade aufgrund der Fähigkeit, seine überbordende Virtuosität in den verschiedensten Konstellationen und Epochen entfalten zu können, weniger ins kollektive Gedächtnis des Festspiel-Publikums gespielt als mancher prominente Kollege. Hört man die Aufnahme seines Solistenkonzertes von 1961, verwundert nicht im Geringsten, dass seinerzeit neben der Brillanz von Cherkasskys Klavierspiel auch die Ausgewogenheit seiner Interpretationen geschätzt wurde. So konnte er, am nun auf CD dokumentierten Abend, auf Mozarts ebenmäßig gespielte Sonate KV 330 mühelos Schumanns hochromantische C-Dur-Fantasie folgen lassen und Mussorgskys kraftvoll aufgetragenen Bildern einer Ausstellung Barbers pointierte Excursions gegenüber zu stellen. Mit dem Nocturne op. 55/1 und Andante spianato et Grande Polonaise brillante von Chopin gelangte er zu dem Komponisten, mit dem er bis heute vielleicht am engsten in Verbindung gebracht wird.

Ebenfalls über ein riesiges Repertoire verfügte Emil Gilels. C 883 132 B
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In seiner (von der Sowjetunion aus) vergleichsweise spät einsetzenden Weltkarriere imponierte aber besonders die durchdachte Geschlossenheit und Durchdringung seiner Programme. So auch 1976 in Gilels’ vorletztem Konzert bei den Salzburger Festspielen: Die mittleren Beethoven-Sonaten op. 26 und op. 31/1 dürften selten so abgerundet, selbst in der Variationenfolge von Op. 26 so wenig effekthascherisch, und doch souverän gespielt worden sein wie von Gilels. Nach der Konzert-Pause rückte er in der Toccata op. 7 und der Arabeske op. 18 von Schumann wie auch in den Vier Balladen op. 10 von Brahms nicht nur musikgeschichtlich weiter. Darüber hinaus drang Gilels in dynamische Bereiche äußerster Zart- und Zurückgenommenheit vor, die ebenso wie die donnernden Ausbrüche das Ausreizen der formalen Möglichkeiten dieser Klavier-Kompositionen in der Beethoven-Nachfolge beispielhaft zum Ausdruck brachten.

Schuberts Winterreise bei den hochsommerlichen Salzburger Festspielen vorzutragen, ist wirklich nur ganz besonderen Künstlerpersönlichkeiten vorbehalten. 1978 taten sich für diesen großen Zyklus Dietrich Fischer-Dieskau und Maurizio Pollini zum ersten und einzigen Mal als Lied-Duo zusammen. C 884 131 B
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Umso dankbarer muss man sein, dass der Österreichische Rundfunk auch diese Begegnung akustisch festgehalten hat. Dass diese Interpretation unwiederholt blieb, ist wohl nur darauf zurückzuführen, dass Einzigartiges mitunter eben einmalig bleiben sollte. Fischer-Dieskaus Balance von Wort und Ton bleibt unübertrefflich – hier glückte ihm auch ein gewaltiger, nie abfallender Spannungsbogen vom ersten bis zum letzten der 24 Lieder. Pollini bewies am Flügel mit teilweise verblüffenden Akzenten und Details der Tempogestaltung und Dynamik, dass der Klavierpart in Schuberts Lieder weitaus mehr als eine bloße „Begleitung“ ist. Nicht zuletzt Festspieldokumente wie dieses zeigen, dass sich das Außerordentlich großer Musiker oft auf ungewohntem Terrain erweist.

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