Grammophone
Komponisten/Werke:
R. Wagner: Siegfried-Idyll
J. Brahms: Symphonie Nr. 4 e-Moll op. 98
Mitwirkende:
Kölner Rundfunk-Symphonieorchester (Orchester)
Hans Knappertsbusch (Dirigent)
Über all dem, was zu Hans Knappertsbusch an Anekdoten, amüsanten und bisweilen nicht zitierfähigen Aussprüchen überliefert ist, droht man bisweilen den eminenten Musiker zu vergessen: und zwar nicht nur den Entfesselungskünstler elementarer Klanggewalten (vor allem über dem Grünen Hügel in Bayreuth). Knappertsbusch konnte auch ganz anders: Ein Kritiker begeisterte sich anlässlich eines Konzertes in Köln 1953 für die „zarte Naturlyrik Wagners“, die Knappertsbusch im Siegfried-Idyll filigran und auf den Kontrapunkt genau auffächerte.
ORFEO CD C 723 071 BDie parallel entstandene Studioproduktion mit dem Kölner Rundfunk-Symphonie-Orchester (heute: WDR Symphonieorchester Köln) macht es dem heutigen Hörer möglich, diesen Eindruck nachzuvoll-ziehen. Überdies teilt sich akustisch der „Rausch des schöpferischen Neugestaltens“ ungebrochen mit, den besagter Rezensent in der Interpretation der 4. Symphonie von Brahms wahrnahm. Dass sich musikalische Spannung nicht allein aus Dissonanzen und ihrer Auflösung, sondern auch aus abwechselnden Momenten der Bewegung des Stillstand ergibt, macht Knappertsbusch überdeutlich, wenn er – nach teilweise befremdendem Zögern und Retardieren, nach hinkenden, schwankenden und stampfenden Auftakten zu Beginn – spätestens im dritten Satz die Kontraste in der Dynamik und der Instrumentierung voll auskostet. In der abschließenden Passacaglia werden die Variationen dann so kunstvoll in eine direkte Abfolge gebracht und wie widerstrebend aufeinander geschichtet, dass die fatalistische Schlusswendung den Eindruck vom Zusammensturz eines (gigantischen) Kartenhauses erwecken könnte. Es sind Momente wie diese, in denen sich Knappertsbusch als genuiner Architekt am Dirigentenpult erwiesen hat, lange bevor die Verfechter einer (mitunter bloß die Partitur herunterbuch-stabierenden) analytischen musikalischen Lesart dieses Terrain für sich beanspruchten. Einigen Hintersinn erhält so die (wiederum gerne primär zur Erheiterung herangezogene) überlieferte Replik Knappertsbusch, warum er nicht wie so viele Maestri auswendig dirigiere: „Ich kann Noten lesen“.
zur nächsten Bestell-Nr. blättern |